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Wie ich einmal die Grusellinie überschritt

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Man neigt ja doch immer wieder dazu, die Wirklichkeit zu unterschätzen: in der Theorie weiss man bescheid, dann passiert das theoretisch Bekannte und man ist doch erstaunt oder sogar perplex. Bei der Euro-Einführung vor zehn Jahren ging es mir so, als ich plötzlich anderes Geld in den Händen hielt, von dem ich vorher hundertmal gelesen hatte.

Und dann vor einigen Tagen, bezeichnenderweise in einem Feld, in dem ich mich einigermaßen auskenne: Online-Werbung. “Einigermaßen” ist dabei weder Koketterie noch Understatement, sondern trifft etwa die Wahrheit. Die Älteren, an mir Interessierteren werden sich erinnern, dass ich mal eine Firma für Werbung in Blogs unterhielt, deren Schaffenshöhepunkt eine Kampagne für ein Mobilfunkunternehmen war, dessen Testimonial ich zudem war. Im Rahmen dieser Blogvermarktungsagentur musste ich – wissend, dass Online-Werbung aus wirklich jeder Perspektive gesehen langweilig ist – mir technische und inhaltliche Kenntnisse bis zu einem Grad aneignen, der mehrminütige Gespräche mit Fachleuten erlaubt. Und zwar ohne dass ich doofe Fragen stelle (ja, es gibt doofe Fragen), oder wichtige Begriffe entlarvend falsch verwende. Nebenbei eine völlig unterschätzte, selten gelehrte, aber beruflich höchst relevante Fertigkeit: die Expertendialogfähigkeit, die Mitredability.

Vor einigen Tagen aber nun musste ich für ein Familienmitglied einen Computer kaufen. Das betreffende Familienmitglied hat eine Allergie gegen Macs, ich dagegen kenne mich nur mit Macs aus. Deshalb fragte ich eine Vertrauensperson, die sich professionell bei einem bekannten Leitmedium mit Computern beschäftigt. Ich fragte natürlich per Mail, über meinen Google-Mailaccount. Es folgt ein Screenshot mit der Antwort:

Drei empfehlende Links auf die Seite cyberport.de (zu einem Computer und zwei Bildschirmen) wurden mir also in meinen Google-Mailaccount hineingeschickt. Ich leitete die Mail weiter oder so, genau erinnerte ich mich zunächst nicht mehr. Wenig später wiederum streifte ich nach Art der digitalen Bohème durch das Internet und geriet im Zuge des Interesses an einem Bundesligaspiel (Schicksalsschlag Herthafan) auf die Seite kicker.de.

Dort erstarrte ich; es war die Art von digitalweltlichem Erstarren, die auch auftritt, wenn man eine bescheuerte Mail an einen Freund weiterleiten möchte, sie mit wüsten Flüchen über den ursprünglichen Absender versieht – und dann kurz nicht mehr weiss, ob man wirklich “forward” oder nicht doch “reply” geklickt hat. Den Grund für mein Erstarren habe ich in einem Filmchen dokumentiert: Mir wurde ein Banner präsentiert von der Firma Cyberport, und zwar ausschließlich und EXAKT mit den drei Produkten, die mir in der Mail empfohlen worden waren.

Vor anderthalb Jahren hatte der damalige Google-Chef Eric Schmidt in einem Interview gesagt, dass Googles Geschäftspolitik sei, so nah wie möglich an die “Creepy Line” heranzukommen, also an den Moment, ab dem sich Leute gruseln. Diese Grusellinie hatte ich erreicht, in Form eines Banners, das wusste, was bei mir in der Mail stand.

Dachte ich. Denn mein erster Reflex war folgender Gedankengang:
– Google erklärt freimütig, die Mails automatisiert durchzuscannen, um passende Anzeigen zu servieren
– Google hat in der jüngeren Vergangenheit aus meiner Sicht mehrmals das in die Firma gesetzte Vertrauen erschüttert
– Warum sollte Google dann nicht auch die beim Mailscannen gewonnenen Einsichten in die Nutzerseelen weiterverkaufen an Dritte, Vierte oder gar Fünfte?
– Ja, so musste es wohl sein, diese Schweine!

Die Gegend um die Grusellinie herum liegt für den engagierten Blogger gleich neben Empöristan, wohin ich sogleich zügig weiterschritt und bereits erboste Mails und geharnischte Artikel zu verfassen im Begriff war: Was erlauben Google? Meine Mails zu verkaufen! Denn wie sollte es sonst zu diesem Banner? Gekommen sein? Und überhaupt! Tief in der Seele beinahe jedes Techbloggers puckert der Wunsch, nur ein einziges Mal ein neues iPhone in der Bar zu finden oder den Superbug bei Facebook aufzuspüren oder eben Google dabei auf die Schliche zu kommen, etwas noch Unverschämteres zu tun als ohnehin schon.

Zum Glück hatte ich nicht so viel Zeit (ich habe nie Zeit), sonst hätte ich sensationell tief ins digital vernetzte Klo gegriffen.

Nochmaliges Nachdenken vor dem Schreiben – das ist eine ausser Mode geratene Kulturtechnik, die vor Twitter noch hip war – brachte mich dann darauf, dass Google (ziemlich, aber nicht 100%ig sicher) nichts mit dem Banner zu tun hatte. Vielmehr – und hier kam mir dann doch der online-werbische Restfachverstand zu Gute – handelte es sich um das so genannte Retargeting.

Denn die Verbindung zwischen Mail und Banner war nicht Google – sondern meine Klicks auf die Links in der Mail und damit auf die Seite von Cyberport. Die natürlich, so tut es jeder hardselling Online-Händler, eine handvoll Cookies bei mir in den Browser pflanzte, versehen mit den Informationen, was ich mir auf der Cyberport-Seite angesehen habe. Ein Internetunternehmen namens Kupona war nun verantwortlich für die Cyberport-Anzeige auf kicker.de. Sie war zustandegekommen, weil Kupona im Auftrag von Cyberport nachschaut, was ein Rechner so für Cookies am Start hat und anschliessend die dafür passende Werbung ausliefert – und zwar überall dort, wo Kupona Banner ausliefert, was ungefähr überall im deutschsprachigen Internet ist. Dieses Verfahren nennt sich wie erwähnt Retargeting, eine Angelegenheit, über die “Technology Review” bereits den allessagend betitelten Artikel “Verfolgungswahn als Werbekonzept” geschrieben hat. Ob das wirklich und wahrhaftig genau so passiert ist – kann ich kaum sagen. Hier beschrieben habe ich lediglich die aus meiner Sicht wahrscheinlichste Variante. Im Internet besteht ja aber auch immer die Möglichkeit, dass alles noch viel, viel schlimmer ist, als man glaubt. CIA sticht.

Zu dieser kurzen, erstarrintensiven Episode gibt es damit eine ganze Reihe von Quintessenzen:
- ich habe (vermutlich) gar nicht Googles Grusellinie überschritten
- dafür eine andere Grusellinie
- an der ich allerdings stark selbst beteiligt war
- denn Werbung an Cookies ausrichten, das hört sich nicht nach dem Teufel persönlich an (oder nur nach einem kleinen)
- aber ist in der Realität dann schon, sagen wir, gewöhnungsbedürftig – selbst für die, die es eigentlich wissen müssten.
- Und schließlich ist es manchmal sehr gut, keine Zeit zu haben: man hat dann auch keine Zeit für peinliche Schnellschüsse.

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